Die Anfänge eines außergewöhnlichen Lebens
Xatar, mit bürgerlichem Namen Giwar Hajabi, wurde 1981 in der iranischen Stadt Sanandadsch geboren. Seine Familie, kurdischer Herkunft, flüchtete Anfang der 1980er-Jahre nach Deutschland, um der politischen Verfolgung und dem Krieg im Iran zu entkommen. Diese frühe Erfahrung von Flucht und Neuorientierung in einem fremden Land prägte seine Persönlichkeit und Perspektive. In Bonn aufgewachsen, erlebte er sowohl den Wohlstand als auch die Schattenseiten der westlichen Gesellschaft. Schon früh kam er mit Hip-Hop in Berührung – eine Musikrichtung, die ihn faszinierte, weil sie Ungerechtigkeit thematisiert und Ausdrucksform für Unterdrückte ist. Er begann zunächst als Produzent, bevor er sich selbst ans Mikrofon wagte. Der Künstlername „Xatar“, was im Kurdischen „Gefahr“ bedeutet, war dabei nicht nur ein musikalisches Label, sondern spiegelte auch seine Haltung zum Leben wider: kompromisslos, kämpferisch und ungeschönt.
Die Gründung von „Alles oder Nix Records“ und der musikalische Durchbruch

Im Jahr 2007 gründete Xatar das Musiklabel Alles oder Nix Records (AoN), mit dem er eine Plattform schaffen wollte, die jungen Künstlern aus schwierigen sozialen Verhältnissen den Einstieg ins Musikgeschäft ermöglichen sollte. Seine Vision war es, nicht nur Musik zu vertreiben, sondern auch Geschichten zu erzählen, die sonst kein Gehör finden. 2008 erschien sein erstes Soloalbum mit dem gleichnamigen Titel Alles oder nix. Das Werk schlug Wellen – nicht nur wegen seines musikalischen Stils, der klassischen Straßenrap mit orientalischen Klängen verband, sondern auch aufgrund seiner expliziten Inhalte. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierte das Album kurz nach der Veröffentlichung, was seiner Bekanntheit jedoch keinen Abbruch tat – im Gegenteil: Für viele junge Menschen wurde Xatar zum Sprachrohr einer überhörten Generation.
Das Label wuchs schnell, und Xatar entwickelte sich zu einem geschäftstüchtigen Unternehmer. Besonders bemerkenswert war seine Fähigkeit, Talente früh zu erkennen. Mit der Unterzeichnung von Schwesta Ewa 2011 demonstrierte er erneut sein Gespür für markante Künstlerpersönlichkeiten. Auch andere Rapper wie SSIO und Kalazh44 wurden über sein Label bekannt.
Der Goldraub – Aufstieg und Fall eines Straßenpoeten

Ein dramatisches Kapitel in Xatars Leben stellte der berüchtigte Goldtransporter-Überfall im Jahr 2009 dar. Gemeinsam mit mehreren Komplizen soll Xatar an einem spektakulären Raub beteiligt gewesen sein, bei dem Gold im Wert von rund 1,7 Millionen Euro entwendet wurde. Nach dem Überfall flüchtete er aus Deutschland, seine Spur führte über Frankreich und Russland bis in den Irak, wo er schließlich vom kurdischen Geheimdienst festgenommen wurde. Die mediale Aufmerksamkeit war enorm – der Rapper wurde über Nacht zum bundesweiten Gesprächsthema, nicht mehr nur als Musiker, sondern auch als mutmaßlicher Krimineller.
Nach seiner Auslieferung an die deutschen Behörden wurde er 2011 zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt. Doch selbst hinter Gittern blieb Xatar aktiv. Er schrieb weiter Texte, koordinierte Projekte und sorgte dafür, dass „Alles oder Nix Records“ weiter operierte. Diese Phase seines Lebens machte deutlich, dass er sich nicht aufgeben würde – im Gegenteil: Sie trug zu seinem Mythos bei. Seine Musik wurde von vielen als authentisch und kompromisslos gefeiert, da sie nicht nur Geschichten erzählte, sondern auf eigenen Erfahrungen beruhte.
Comeback und musikalische Höchstform

Nach seiner vorzeitigen Entlassung 2014 startete Xatar ein eindrucksvolles Comeback. Sein 2015 veröffentlichtes Album Baba aller Babas landete auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Der Titeltrack und Songs wie „Iz da“ oder „Original“ wurden zu Hymnen innerhalb der Szene. Musikalisch kombinierte Xatar Straßenrap mit klassischen Beats, arabischen Einflüssen und ausgefeilter Produktion – ein Markenzeichen, das ihn vom Mainstream abhob. Gleichzeitig setzte er auch inhaltlich Akzente: Während viele Rapper auf Klischees setzten, erzählte Xatar komplexe Geschichten über Loyalität, Armut, Aufstieg und Verrat. Sein Flow war markant, seine Stimme rau und eindringlich – man hörte, dass hier jemand sprach, der gelebt und gelitten hatte.
Neben der Musik baute er seine geschäftlichen Aktivitäten aus. Er eröffnete mit dem Haval Grill ein eigenes Schnellrestaurant, das besonders bei Jugendlichen großen Anklang fand. Außerdem brachte er mit Orijinal eine eigene Shisha-Tabak-Marke auf den Markt und beteiligte sich an verschiedenen Lifestyle- und Modeprojekten. Xatar war längst mehr als nur ein Rapper – er war zu einer Marke geworden.
Film, Buch und Kultstatus

Im Jahr 2015 veröffentlichte Xatar seine Autobiografie Alles oder Nix – Bei uns sagt man, die Welt gehört dir, die schnell zum Bestseller avancierte. In dem Buch schildert er nicht nur seinen Aufstieg und Fall, sondern reflektiert auch über Identität, Rassismus, Freundschaft und Familie. Die Geschichte war so eindrucksvoll, dass sie 2022 von Fatih Akin unter dem Titel Rheingold verfilmt wurde. Der Film wurde ein Erfolg und brachte Xatars Geschichte einem noch breiteren Publikum näher – darunter auch Menschen, die mit Rapmusik bislang kaum Berührung hatten.
Rheingold ist mehr als ein Biopic – es ist ein Gesellschaftsporträt, das zeigt, wie schwierig Integration, Aufstieg und Anerkennung für Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sein können. Xatar wurde zum Symbol dieser Realität – roh, widersprüchlich, aber immer echt. Auch als Produzent und Mentor anderer Künstler war er weiter aktiv und arbeitete an neuen Projekten im In- und Ausland.
Der plötzliche Tod – ein Ende mit Fragen
Am 8. Mai 2025 wurde Xatar tot in seiner Wohnung in Köln aufgefunden. Die Nachricht erschütterte die deutsche Musikszene tief. Zahlreiche Künstler wie Fler, Farid Bang, Haftbefehl und andere drückten öffentlich ihre Trauer aus. Die genaue Todesursache wurde zunächst nicht bekannt gegeben, was Spekulationen Vorschub leistete. Für viele war Xatar nicht nur ein Rapper, sondern eine Figur mit großer kultureller Bedeutung. Sein Tod hinterließ eine spürbare Lücke – nicht nur in der Musik, sondern auch im kulturellen Gedächtnis junger Menschen, die sich in seiner Geschichte wiederfanden.
Xatars Vermächtnis

Xatar hat sich von einem geflüchteten Kind aus dem Iran zu einem der prägendsten Rapper und Unternehmer Deutschlands entwickelt. Sein Werdegang steht exemplarisch für die Möglichkeiten und Widersprüche des modernen Deutschlands. Er schaffte es, aus schwierigen Startbedingungen heraus ein Imperium aufzubauen – stets mit dem Risiko, daran zu scheitern. Dabei war er nie perfekt, oft umstritten, aber immer echt. Ob im Musikstudio, im Gerichtssaal oder auf der Kinoleinwand – Xatar war eine Figur, die polarisierte und gleichzeitig vereinte. Sein Einfluss auf die deutsche Rap-Szene ist unbestreitbar: Zahlreiche Künstler haben ihm den Weg zu verdanken, seine Musik beeinflusst bis heute die Szene.
Er hat gezeigt, dass Authentizität kein Marketing-Trick ist, sondern aus gelebter Erfahrung kommt. Dass man aus Rückschlägen Kraft schöpfen kann. Und dass aus einem Flüchtlingskind ein kultureller Pionier werden kann, wenn man an sich glaubt und nicht aufhört, seine Geschichte zu erzählen.
Fazit:
Xatar war mehr als ein Musiker – er war ein Spiegel der Gesellschaft, ein Unternehmer mit Vision, ein Rebell mit Prinzipien. Sein Leben zeigt, dass Kunst nicht nur unterhalten, sondern auch aufklären, verbinden und inspirieren kann. Das Schlüsselwort „Xatar“ steht heute für weit mehr als Rap – es steht für Überlebenswillen, Kreativität und kulturellen Einfluss.